Wenn der Gatunsee weiter aufgestaut wird
Sendedatum: Sonntag, 12. August 2007
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Panama ist weltweit bekannt wegen des Kanals. Doch Panama ist auch ein Naturparadies. In dieser Region findet sich zum Beispiel das größte zusammen hängende Urwaldgebiet Zentralamerikas, eine der artenreichsten Regionen des Kontinents.
Der Ausbau des Kanals weckt auch kritische Stimmen, die befürchten, dass die neue Wasserstraße eines der kostbarsten Ökosysteme zerstören könnte.
Unberührtes Naturparadies – im Meer und an Land
Spätnachmittags vor der Stadt Colón an der Atlantikseite des Panamakanals das übliche Bild: Schiffe, die auf Einfahrt in den Kanal warten, auf den Zeitpunkt, endlich in die Schleusen hinein zu können.
Bildunterschrift: Exotischer Schmetterling im Freiluftlabor des Smithsonian Tropical Research Institute ]
Ein paar Seemeilen entfernt vom Schiffsbetrieb und der Hektik: Panama, das Naturparadies. Das Meer auf der karibischen Seite ist fast kristallklar, es gibt große Korallenriffe, ein berauschend schönes und artenreiches Leben.
Leider sind die Korallenriffe durch Süßwasser aus dem Kanal zunehmend gefährdet. Milliarden Liter werden jährlich durch die Schleusen ins Meer gespült. Und je mehr Schiffe geschleust werden, desto mehr Wasser fließt hinaus.
Salzwasser-Lebewesen wie Korallen aber vertragen Süßwasser nun mal nicht.
Elodorado für Tier- und Pflanzenforscher
Bildunterschrift: Der Gatunsee ]
Im Inland ein völlig anderes Bild: scheinbar unendliche, dichte Regenwälder, durchzogen von Flüssen wie dem Rio Gatun. Panamas tropischer Regenwald gilt als der artenreichste in Mittelamerika – über zehntausend Tier- und Pflanzenarten sind hier zuhause. Der wichtigste Grund für diesen Reichtum: Das reichlich vorhandene Wasserangebot – besonders während der Regenzeit.
Auf der Insel Barro Colorado mitten im Gatun-See unterhält das Smithsonian Tropical Research Institute ein riesiges, einige Quadratkilometer große Freiluftlabor, das vielleicht am intensivsten erforschte Biotop unseres Planeten.
Wissenschaftler aus aller Welt kommen immer wieder hierher, darunter auch Spezialistinnen für Fledermäuse von der Universität Ulm. Die Forscher sind begeistert von dieser sonst unberührten Natur, in der sich unter anderem fünf Affenarten und sogar Tapire tummeln.
Bildunterschrift: Der Biologieprofessor Ariel Rodrigez ]
Ariel Rodriguez, Biologieprofessor an der Universität in Panama City, ist sehr oft hier, vielleicht sogar häufiger als auf seinem Campus in der Stadt. Sein Hauptinteresse ist der Einfluss des Kanals auf die biologische Vielfalt im Dschungel. Entgegen oft verbreiteten Vorurteilen sagt er, dass der Kanal bisher dem Dschungel nicht geschadet habe. Andersherum: Ohne den Regenwald könne der Kanal nicht funktionieren. Deshalb wurden schon vor langer Zeit große Teile der Wälder zu Naturschutzgebieten erklärt. Dennoch ist der 35jährige Professor ein in Panama prominenter Gegner des Kanalausbaus.
Er befürchtet unkalkulierbare Risiken durch die neuen Schleusen: «Ein Umweltproblem, das uns mit der Erweiterung des Kanals schwer zu schaffen machen dürfte, ist das völlig unzureichende Management des Wasserhaushalts und der hydrologischen Ressourcen. Wir sehen das an dem kleinen Miraflores-See. Dort ist bisher zwar nur wenig Salzwasser eingedrungen, aber dieses wenige hat die Zusammensetzung der Arten dort total verändert. Wenn das im ganzen Kanal und im Gatun-See geschieht, ist es das Ende für die Biodiversität. Und auch das Trinkwasser für Panamas Städte gerät dann in Gefahr.»
Gatun-See wird weiter aufgestaut
Bildunterschrift: Die Indio-Dörfer am Ufer des Gatunsees würden bei einer weiteren Aufstauung überschwemmt. ]
Ein anderes Risiko: Der Gatun-See muss wegen des erhöhten Wasserbedarfs noch weiter aufgestaut werden. Doch am Rande des Sees und der Flüsse stehen Indio-Dörfer der Emberá, die dann vermutlich überschwemmt werden.
Die Emberá leben hier, nicht sehr weit entfernt von der betriebsamen Kanalzone, nach jahrhundertealten Traditionen. Der Wald bietet ihnen Dach und Schutz, sie fischen und jagen hier. Doch wie lange noch? Schon einmal musste der Stamm umziehen, weil Teile des Siedlungsgebiets für den Kanal geflutet wurden.
Bildunterschrift: Geschickte Lebensführung zwischen Tradition und Moderne: Der Indio Elwin Flaco studiert Ökotourismus. ]
Auch Elwin Flaco stammt von hier, für seine Familie heißt er in der Stammessprache «Kleine Blattschneideameise». Elwin pendelt zwischen seinem Heimatdorf hier und der Stadt. Dort studiert er an der Universität Ökötourismus – ein Beruf mit Zukunft für diese Region.
Elwin steht beispielhaft für die neue Lebensform der Emberá: trotz Traditionsbewusstsein akzeptieren sie die Realität des modernen Lebens ringsum, versuchen gar daraus auch zusätzliches Einkommen zu gewinnen. Die Frauen des Dorfes zum Beispiel fertigen Folkore-Tand für Touristen, die in immer größerer Zahl in diese «Grüne Hölle» kommen.
Bildunterschrift: Ufer-Lage: Das Dorf der Emberá-Indios liegt direkt am Wasser. ]
Elwin sieht aber voraus: «Wenn die Leute vom Kanal noch mehr Land überschwemmen, gehen unsere Hütten mit unter. Dann müssen wir hier alles niederreißen, und weiter oben in den Bergen wieder ein neues Dorf bauen.»
Die Kanalbehörde hat erkannt, wie wertvoll das Wissen der Indios ist, nur sie können kleinste, aber unter Umständen wichtige Veränderungen im Ökosystem sofort bemerken. Deshalb beauftragten sie Elwin regelmäßig die Wasserstände weit im Hinterland an Pegeln abzulesen. Kurz vor der Regenzeit steht das Wasser hier im Fluss besonders niedrig.
Niedrigwasser hier bedeutet: Weniger Wasser für den Kanal, Probleme für den Schiffsverkehr. Aber Elwin Flaco beruhigt: «Das Wasser kommt schon noch, und dann steigt es sogar über die obere Marke. Wenn es viel geregnet hat, am Ende der Regenzeit, fließt es aus den Nebenläufen im Rio Gatun zusammen. Dann verwandelt sich der Gatun in einen reißenden Fluss. Für andere wird es dann gefährlich, hier mit Booten herzukommen.“
Schlechte Informationspolitik der Regierung
Bildunterschrift: Kleine Einnahmequelle für die Indios: Die Frauen des Dorfes pflegen die traditionelle Handarbeit. ]
Trotz seiner Aushilfsarbeit für die Kanalbehörde ist Elwin sauer: «Es gab eine Volksabstimmung über den Ausbau des Kanals. Aber wir hatten ja keine Wahl. Wir mussten wohl oder übel irgendwie abstimmen. Niemand von der Kanalbehörde ist zu uns gekommen und hat uns erklärt, was für Vorteile ein Kanalausbau uns Indios bringen könnte. Wir leben hier, aber man hat uns nicht gefragt. Sie haben sich die Meinungen irgendwelcher Spezialisten von draußen geholt. Und dabei sagen die Politiker immer, der Kanal gehört dem ganzen panamaischen Volk.»
Technik des Wasserrecyclings als Werbemittel
Bildunterschrift: Auf dem Rio Gatun. ]
Die Kanalbehörde hat auf die Proteste der Indios reagiert, und wirbt intensiv mit der Idee des Wasser-Recyclings.
Ihre Sprecherin Hortensia Broce: «Seit es um den neuen Kanal geht, lassen wir mit Studien alle möglichen Folgen für die Umwelt prüfen. Wie viele Schiffe durch die Schleusen dürfen, wie viel Wasser gebraucht wird, das ist alles genau definiert. Deshalb werden ja auch die Recyclingbecken angelegt. Ja, vielleicht werden wir den Wasserspiegel des Gatun-See um einen Meter oder so erhöhen, damit wir am Ende der Regensaison noch mehr Wasser haben. Aber ich sage Ihnen: Wasser haben wir genug. Das Problem ist nur, wo können wir es stauen und vorhalten? Und auf die Biodiversität dürfte die Kanalerweiterung eigentlich keinerlei Auswirkungen haben.»
Bildunterschrift: Klein gegen Groß? Elwin Flaco am Übergang vom Rio Gatun zum Panamakanal. ]
Die Folgen es tatsächlich geben wird, kann ehrlicherweise noch niemand sagen, schließlich beruhen die meisten Planungen nur auf Modellen und Berechnungen, und nur zum Teil auf Erfahrung. Aber der Beschluss steht, der Bau beginnt. Panama will und muss weiter ganz vorn mitspielen im Kanalgeschäft zwischen dem Pazifik und dem Atlantik.
Und Elwin Flaco und seine Stammesangehörigen?
«Wir haben immer im Einklang mit der Natur gelebt. Was jetzt kommt, weiß ich nicht. Wir Indios können es nicht wissen. Aber wir wollen diese Realität verstehen. Denn wir können sie ja nicht ignorieren oder unser Leben einfach aufgeben.»
Autor: Andreas Lueg
Dieser Text gibt den Fernsehbeitrag vom 12.08.2007 wieder. Eventuelle spätere Veränderungen des Sachverhaltes sind nicht berücksichtigt.
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